Ein Nachruf auf den besten Papa der Welt

Und wenn Du fragst, „warum?“ – die Antwort bleibt stumm

 

- Unbekannt

 

 

 

 

 

 

10.03.2021. Was für ein Scheißtag. Nach einem langen Kampf hat mein lieber Papa gegen den Krebs verloren. Ein Scheißkrebs, wie ihn sein Professor nannte. In die Trauer mischt sich immer mehr eine große Leere: Ich realisiere Stück für Stück, dass Papa weg ist und nie wieder kommen wird. Er wird mich nicht mehr abends anrufen, um einfach so zu fragen, wie mein Tag war. Er wird keinen Text mehr von mir lesen und er wird nie wieder im Auto neben mir sitzen und meinen Fahrstil kritisieren.

 

Ich fühle mich einfach so ohnmächtig und versuche irgendwie, mit dieser Situation klarzukommen, deswegen schreibe ich diesen Nachruf. Ein Bericht aus seinem Leben, von den letzten vier Jahren, in denen er stets gekämpft hat wie ein Löwe. Papa hat jeden einzelnen meiner Artikel, sogar jeden Tweet gelesen, mir ist dabei ein Satz im Gedächtnis geblieben: „Ich glaube, ich bin Dein größter Kritiker und Dein größter Fan“. Er hatte so viele Anregungen, so viele Ideen und hat sich immer riesig gefreut, wenn ich diese aufgegriffen habe. Deswegen möchte ich ihn auf diese Art ein letztes Mal als Ideengeber nutzen und eine kleine Geschichte über seinen Kampf gegen den Krebs schreiben.

 

Für Papa und für Mama, Larissa und mich, um die Erinnerung zu konservieren. Vielleicht zeige ich das ja in ein paar Jahren meinen Kindern, wenn sie fragen, wer „Opa René“ war. Ich habe das Gefühl, das alles so besser verarbeiten zu können und will gleichzeitig seinen vielen Freunden und Bekannten die Möglichkeit geben, an Papas Geschichte teilzuhaben.

 

Lieber Papa, hoffentlich gefällt Dir das.

 

Anfang 2017 kommt die Horror-Diagnose. Die fünf Buchstaben, die niemand lesen will: Krebs. Aus heiterem Himmel wurde ein Melanom in der Darmschleimhaut entdeckt, die Prognose ist beschissen, wir sind geschockt. Die Ärzte sprechen Klartext: OP sofort, sonst würde diese sehr aggressive Krebsform rasch tödlich enden. Nach vier Stunden Operation am offenen Bauch folgen vier Wochen Reha in Freiburg, in dieser Zeit besuchen wir Papa oft. Die Erholung dauert lange, aber Papa kämpft sich ins Leben zurück und nach ein paar Monaten heißt es im Arztbrief „krebsfrei“. Im November 2017 geht es ihm so gut, dass er es im Tirol-Urlaub auf einen kleinen Berggipfel schafft: Das Faltegartenköpfl im Inntal. Ein riesiger Schritt für ihn und ich freue mich darauf, in den darauffolgenden Jahren noch viele weitere Wanderungen unternehmen zu können. Leider war es das letzte Mal, dass er es auf einen Berggipfel schaffte.

 

Das „krebsfrei“ hielt nicht lange an, 2018 ging es weiter, dieses Mal in der Nebenniere. Also wieder das gleiche Spiel: OP, Heilungsphase, kämpfen. Und Papa kämpft wieder. Im Sommer 2018 geht es ihm wieder so gut, dass er meinen Abiball besuchen kann, dass war wahnsinnig schön. So geht es immer weiter: Der Krebs tauchte immer wieder auf, jedes Mal an einer neuen Stelle, in immer kürzeren Abständen und immer sagte Papa zu den Ärzten: „macht mit mir alles, was Ihr machen könnt“. Weil er diese unglaublichen Strapazen auf sich genommen hat, hatten wir noch viele schöne gemeinsame Momente: Mama und er hatten einen schönen Urlaub zu zweit, mit Larissa machte er noch 2020 eine große Tour an die Ostsee und mich besuchte er immer gerne in München und mochte diese Stadt sicher genauso wie ich. 2019 konnte er erleben, wie Larissa ihren Führerschein bestanden hatte – er war so unglaublich stolz.

 

Ein Zwischenfall im April 2020 änderte alles: Unter einer Chemo-Therapie entwickelte er Diabetes und hatte infolge einer massiven Überzuckerung einen schweren Zusammenbruch. Die Rettung aus dem Dachgeschoss war schwierig und generell ist unser Haus nicht barrierefrei, weswegen Papa nach seinem Krankenhausaufenthalt zu seinem besten Freund Rainer, unserem Dede (schwäbisch für Patenonkel) umgezogen ist. Dede hat uns mit offenen Armen in der behindertengerechten Wohnung seiner Eltern aufgenommen und meinem Papa so ermöglicht, sehr lange weiter im häuslichen Umfeld leben zu können. Dennoch erholte Papa sich von diesem Zwischenfall nicht mehr vollständig, ab diesem Punkt wurde er schwächer und war öfter auf den Rollstuhl angewiesen. Trotzdem hat er immer wieder versucht, aufzustehen und mit Stöcken doch wieder ein Stück zu gehen, aufgeben war keine Option für ihn.

 

Später im Jahr folgte dann bei einer Routinekontrolle die Diagnose, die uns alle fast noch mehr getroffen hat als die Anfangsdiagnose: Drei Metastasen im Kopf. Das war seit Beginn der Erkrankung Papas größte Angst und er hat immer gesagt, es geht zu ende, wenn‘s mal im Kopf ist. Letztendlich sollte es auch so sein, aber trotz dieser Einstellung boxte er sich weiter durch und zeigte dem Krebs noch ein paar Mal den Mittelfinger: Er war an Larissas 18. Geburtstag dabei und feierte seinen eigenen 54. Geburtstag in einer Videokonferenz.

 

Kurz vor Weihnachten musste er nach einem schweren epileptischen Anfall ins Krankenhaus. Zurück zuhause benötigte er mehr Unterstützung und wurde von Mama aufopferungsvoll gepflegt. Wahnsinn, was Du geleistet hast, Mama!

 

Und immer noch kämpfte er: Er hatte fortan noch stärkere Probleme beim Laufen und mit der Feinmotorik in den Fingern, dagegen trainierte er bis zuletzt ehrgeizig an. Sein großes Ziel war weiterhin, wieder ein selbstständiges Leben führen zu können. Kurz vor seinem letzten Krankenhausaufenthalt kaufte er sich sogar nochmal einen Oldtimer, ein Mercedes W123 Coupe, mit dem er im kommenden Sommer gerne noch ein paar Runden gedreht hätte.

 

Am 22. Februar kam er mit Luftnot nochmal ins Krankenhaus. Eigentlich hatte ich mich längst daran gewöhnt, er war ja so oft im Krankenhaus. Trotzdem hatte ich einfach ein beschissenes Gefühl und deswegen habe ich in der Nacht einen Brief an ihn geschrieben, den ich ihm bei nächster Gelegenheit zeigen wollte:

 

 

Lieber Papa,

 

Während ich das hier schreibe, liegst Du im Krankenhaus. Es ist mitten in der Nacht und ich habe Angst, dass Du nicht mehr zurückkommst, dass der Krebs Dich dieses Mal nicht mehr loslässt. Ich heule mir die Augen raus, das passiert selten, aber gerade bin ich einfach überfordert. Wir haben uns seit Deinem Geburtstag nicht mehr gesehen, ich mache mir deswegen große Vorwürfe. Ich hätte mehr für Dich da sein sollen, so wie Du immer für mich da warst.

 

Meine große Angst ist, dass Du nicht mehr aus dem Krankenhaus zurückkommst und das letzte Mal, wo wir uns gesehen haben war an Deinem Geburtstag, vor drei Monaten, zu dem ich fast nicht gekommen wäre und an dem ich noch am Abend abgehauen bin.

Deswegen schreibe ich jetzt das hier, denn Du wirst wieder aus dem Krankenhaus kommen und mir ist wichtig, dass Du ein paar Dinge noch mitnimmst, falls wir uns nicht mehr sehen:

Mach Dir keine Sorgen um uns. Mach Dich nicht verrückt, Deiner kleinen Familie geht es gut.  Ich freue mich unheimlich, wenn Du stolz auf mich bist. Ich bin immer glücklich, wenn Dir ein Artikel von mir gefällt. Danke, was Du für Larissa und mich getan hast, danke, was Du uns ermöglichst, danke, dass wir so eine tolle Kindheit hatten.

 

Das liest sich wie ein Abschiedsbrief, das soll es aber nicht sein. Ich wollte Dir nur diese paar Dinge sagen, solange Du sie noch verstehst. Ich wünsche mir sehr, dass Du noch lange bleibst, aber quäl Dich bitte für niemanden von uns. Du gehst, wenn Du gehen willst. Ich verspreche Dir: Wenn es soweit ist, bin ich für Dich da. Ich lass Dich nicht alleine.

 

Hab Dich so lieb.

Robin

 

 

Tags darauf rief mich Mama an und meinte, ich solle sofort nach Stuttgart kommen. Papa hatte durch einen neuen Tumor im Darm eine Sepsis und musste deswegen dringend operiert werden – mit dem Risiko, nach dieser OP nicht mehr aufzuwachen. Sein Operateur, der ihn seit fast vier Jahren regelmäßig behandelte, riet ihm von diesem Eingriff ab, aber er muss vehement darauf bestanden haben und so war Papa schon im Operationssaal, als ich aus München ankam.

 

Zwei Stunden später schoben die Pfleger meinen Vater an meiner Mutter, meiner Schwester und mir vorbei vom OP-Saal auf die Intensivstation: Bewusstlos, voller Schläuche und weiterhin in Lebensgefahr (nur deswegen durften wir trotz Corona-Regeln zu ihm). Aber es war an diesem Tag noch nicht zu ende, Papa berappelte sich noch ein letztes Mal, wachte nach einigen Tagen wieder auf und freute sich riesig, überhaupt noch am Leben zu sein. Als meine Mutter (die nun wieder als einzige und auch nur alle sieben Tage zu ihm durfte) ihm erklärte, dass er wieder aufgewacht war, sagte er „ich könnte hüpfen vor Freude“. Mit Mamas Hilfe nahm er Sprachnachrichten auf und sagte uns Kindern, dass er weiterkämpfen will.

 

Trotzdem besserte sich sein Zustand nicht mehr weiter und die Ärzte gaben einen pessimistischen Ausblick, der sich leider bewahrheiten sollte. Durch diverse Mini-Schlaganfälle, die Folgen der Blutvergiftung und generell der vielen Metastasen baute er in den nächsten Tagen immer weiter ab, war im Delir, sprach schlechter und konnte sich weniger bewegen.

 

Im Bewusstsein, wie ernst sein Zustand war, haben wir diese letzten Tage so gut wie möglich genutzt: Wir zeigten ihm Bilder, konnten uns unterhalten, Sprachnachrichten von Freunden vorspielen und insgesamt langsam und behutsam Abschied nehmen.

 

Er konnte uns noch einige wichtige Dinge mit auf den Weg geben: Larissa und ich wissen jetzt, wie stolz er auf uns war und zu Mama hat er noch ein letztes Mal sagen können, wie sehr er sie liebte. Er erkannte alle Menschen auf den Bildern, die wir ihm zeigten und konnte über Sprachnachrichten wichtige Botschaften an geliebte Menschen geben: Dass er Rainer wie einen Bruder liebt, genauso wie Wilfried. Beide konnten ihn noch ein letztes Mal besuchen und das hat ihm sichtbar gut getan. Noch am vorletzten Tag war er wach, konnte mit uns sprechen und hat sich riesig über alle Bilder gefreut.

 

Dankenswerterweise wurde Papa am Ende auf die Palliativstation verlegt und konnte dort sehr ruhig und würdevoll einschlafen. Seinen letzten Atemzug machte er in Anwesenheit meiner Mama und Wilfried, der nochmal für ihn gebetet hatte.

 

Jetzt ist Papas Kampf vorbei und ich bin so stolz auf ihn, dass er so tapfer war. Und ich bin sehr dankbar, dass ich ihn noch ein letztes Mal wach sehen durfte und wir einen guten Abschied gefunden haben.

 

 

Danke Papa, für Alles. Du warst der Beste.

 

 

 

Robin Engelhardt, Ditzingen im März 2021

 

https://www.eav-mobility.de/2021/03/13/ein-nachruf-auf-den-besten-papa-der-welt/